Women in Live Music

Es ist kein Geheimnis: Die Medien- und Veranstaltungstechnikbranche ist männlich dominiert. In Berufsschulklassen gibt es häufig pro Jahrgang nur eine Auszubildende, auf Produktionen sind Technikerinnen und weibliche Stagehands eine Seltenheit, LKWs werden von Männern gefahren, der TL ist ein Buddy und die meisten Dienstleistungs- und Herstellerunternehmen werden von Männern geleitet. Die Aufzählung könnte noch lange so weitergehen und allen werden vermutlich die Beispiele, in denen eine Frau am FOH steht, sofort als ein bemerkenswertes Ereignis einfallen.

Von Caroline Momma

Aber es gibt sie: die Frauen, in allen Berufen der Branche – und sie sind mit derselben Leidenschaft, dem Engagement und den Qualifikationen unterwegs, wie ihre männlichen Kollegen. Ihr Anteil beträgt, laut Women in Live Music, ca. zehn Prozent – diese Verteilung ist für die Branche charakteristisch und unabhängig von der jeweiligen nationalen Arbeitsmarktsituation europaweit gleich.

Die Crew bei der Produktionsbesprechung

Typische Männerberufe
Aber warum sind Frauen in der Branche eine Rarität? Wieso sind die vielzähligen und interessanten Berufe in der Branche „typische Männerberufe“? Die Anfänge der Eventindustrie fallen in die 60er Jahre. „Die natürliche Evolution war, dem Zeitgeist geschuldet, folgende: Männer begannen und entwickelten gemeinsam mit anderen Männern die Industrie und dies wiederum zog andere Männer an, in der Branche zu arbeiten“, erklärt Malle Kaas, Gründerin von Women in Live Music.

 


Anderssein heißt Auffallen
Aufgrund der Seltenheit weiblicher Kolleginnen fallen diese auf: Ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten werden wegen ihres Sonderstatus von Kollegen, Veranstaltern, KünstlerInnen wie unter dem Brennglas betrachtet und bewertet – und das, wo der allgemeine Druck insbesondere auf Produktionen für alle sowieso schon hoch genug ist. Women in Live Music hat europaweit Frauen aus allen Bereichen der Branche zu ihrer Arbeitszufriedenheit befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass insbesondere junge Frauen, die gerade neu in der Branche beginnen, das fehlende Vertrauen in ihre Fähigkeiten zu spüren bekommen. Eine antwortete in der Umfrage auf die Frage, ob sie mehr Angst davor hat, Fehler zu machen, als ihre männlichen Kollegen – wie 70 Prozent der begfragten Frauen – mit einem ja und ergänzte: „Die Industrie vergibt Männern ihre Fehler, und die von Frauen betont sie.“ Frauen fühlen sich verständlicherweise unter diesem erhöhten Druck oft unwohl und verunsichert.

Malle Kaas an der XL4 während des Konzerts von „The Bowdashes“ – Bild: Christoffer Wendelboe

Women in Live Music

Malle Kaas möchte mit dem Netzwerk Women in Live Music Frauen unterstützen, damit diese sich innerhalb der Branche nicht als isoliert oder Ausnahmeerscheinungen empfinden – sie hat mit dieser Idee offene Türen eingerannt: Women in Live Music hat seit der Gründung im Januar 2018 mit der Facebook-Präsenz 100.000 Menschen erreicht und 2.000 Beitritte verzeichnen können. Kaas lebt und arbeitet als Tontechnikerin in Dänemark. Sie erzählt im Interview von ihrer Motivation, sich zu engagieren, wieso das notwendig ist und welche Rolle hierbei die männlichen Kollegen spielen.

Was macht Women in Live Music?
WILM wurde im Januar 2018 mit der Unterstützung von Tuborg, meiner Co-Direktorin Hannah Brodrick und mir gegründet. Wir hatten gemeinsam Workshops in Europa durchgeführt und den Eindruck, dass ein großer Bedarf an einer Community für Frauen in der Event-Industrie bestand. Nicht nur für Technikerinnen, sondern für alle „Behind the Scenes“ – für Tourmanagerinnen, Stagehands, LKW-Fahrerinnen und andere. WILM ist eine Non-Profit-Organisation, unser Team besteht aus sieben Frauen, die alle in der Industrie arbeiten und ehrenamtlich für unser Netzwerk tätig sind. In diesem schaffen wir die Möglichkeit, mit Hilfe unserer digitalen Plattformen zu kommunizieren, zu lernen und langfristige Freundschaften zu schließen, und wir organisieren Treffen und Workshops in ganz Europa. Viele finden in Kooperation mit Unternehmen wie d&b audio, Klang:technologies oder Allen & Heath statt. Gerade erleben wir auch eine großartige Unterstützung von Unternehmen wie Meyer Sound und MA Lighting.
Im ersten Jahr seit unserer Gründung haben wir sehr viele Menschen erreichen können. Gerade unsere Facebook-Gruppe ist tagtäglich lebendig, und hier heißen wir Männer und Frauen willkommen! Und es ist nicht so, dass wir Männern „erlauben“ an unserer Community teilzuhaben – für uns ist es selbstverständlich, dass auch sie gemeint sind, wenn wir über Diversity sprechen, und die meisten Erfahrungen, die Männer und Frauen in den Berufen machen, ähneln sich sehr – das sollten wir niemals vergessen.

Sound Trainee Josephine Mahler

Seit wann arbeitest du als Tontechnikerin?
Ich begann als Veranstaltungstechnikerin Mitte der 90er Jahre. Mein Traum war es, hinter dem Mischpult zu stehen, aber ich hatte das Gefühl, als Frau keine Chance zu haben. Nach einer langen Zeit von zwölf Jahren, in denen ich etwas komplett anderes tat und als Anästhesiekrankenschwester arbeitete, beschloss ich zurückzugehen. Seit 2015 habe ich das Pult nicht mehr verlassen.

Welche beruflichen Erfahrungen haben dazu geführt, ein Unterstützungsnetzwerk für Frauen in der Event-Industrie zu gründen?
Ich erinnere mich gut daran wie es war, als ich Mitte der 90er in der Branche arbeitete und auch, als ich einige Jahre später wieder zurückkam: Ich kannte niemanden, den ich um Unterstützung oder um einen Ratschlag bitten konnte. Hinzu kam ein Gefühl des Alleinseins und der Unsicherheit: der Sonderstatus als Frau tat mir nicht gut. Auch heute fühle ich noch manchmal den Mangel an Vertrauen in meine Fähigkeiten von Seiten männlicher Kollegen, KünstlerInnnen und Managern, die mich noch nicht kennen. Allerdings bin ich sicher, dass dieses Problem des Sonderstatus und des fehlenden Vertrauens verschwinden wird, wenn wir eines Tages einen signifikanten Anteil von Frauen in der Branche haben. Denn dann werden sie zum ganz normalen Bild dazugehören. Viele Crews, Unternehmen und Künstler befürworten generell mehr Diversity, aber es ist immer noch ein langer Weg. Wir sind immer noch bei weniger als zehn Prozent Frauenanteil.

Josephine Mahler, Sound Trainee und Tontechnikerin Lisa an der Allen & Heath dLive S7000

Zwar sehen wir viele junge Frauen neu in der Branche anfangen, befürchten aber, dass sie ohne ein Netzwerk nicht lange bleiben. Mit Women in Live Music hoffe ich, Frauen zu inspirieren, zu motivieren, teilzuhaben, um hoffentlich lange Zeit in der Branche zu bleiben und ihre Leidenschaft zu leben. Wir hoffen, dass wir die Neuanfängerinnen länger halten können – und sie sich nicht zu schnell wieder verschrecken lassen. Ein weiteres wichtiges Ziel ist es, die brillanten und kompetenten Frauen sichtbar zu machen, sodass sie für Crews engagiert werden können. Dies wollen wir durch unsere Crewlist auf unserer Website, durch gemeinsam organisierte Treffen und durch unsere Facebook-Präsenz erreichen.

Hast du Informationen darüber, ob Frauen in der Branche genauso wie ihre männlichen Kollegen bezahlt werden?
Mein Eindruck ist, dass Männer und Frauen gleich bezahlt werden – sie sind im selben Maße „unterbezahlt“.

Wie unterstützt WILM Personen und Institutionen, die sich mehr Diversity wünschen?
Wir bringen, Hersteller, Veranstalter, Festivals und die Frauen in der Branche einander näher. Insbesondere durch Events und Workshops, die wir hauptsächlich in Kooperationen organisieren.

Was sind gute Gründe, einer Frau einen Job zu geben?
Die Gründe, die für eine Frau im Team sprechen, sind dieselben, die für einen Mann sprechen – du willst eine hart arbeitende, engagierte und loyale Person in deinem Team. Außerdem zeigen Studien, dass je diverser ein Team aufgestellt ist, die Kreativität und positive Dynamik steigen. Daher ist es keine schlechte Idee, die Diversität zu erhöhen.

Wenn Männer ihre weiblichen Kolleginnen unterstützen möchten – was wäre dein guter Rat für sie?
Gib der Frau, die Möglichkeit, sich zu beweisen. Urteile nicht vorschnell – insbesondere dann nicht, wenn sie gerade neu im Job ist. Ich sage das, weil es die Tendenz gibt, die Leistung von Frauen in einer Crew härter zu beurteilen. Insbesondere wenn „sh*** hits the fan“ und ein Sündenbock gesucht wird.

 

Die erste WILM-Frauencrew für das SPOT Festival

Heida Ragnarsdottir (Light Designer), Malle Kaas (FOH Enginer & Crew Chief), Lisa Affenzeller (Monitor Engineer), Louise Bagger (Light Traniee), Hannah Elmgreen (Stage Trainee), Josephine Mahler (Sound Trainee), Yu Lu (Stagemanagerin)

Die Idee, eine Crew zu buchen, die ausschließlich mit Frauen besetzt ist – und so Vorbild für eine positive Entwicklung zu sein – hatte Conny Jörgensen, Projektmanagerin des dänischen Rock Councils (ROSA). Sie fragte bei Women in Live Music an, ob sie Interesse hätten, auf dem Festival eine Bühne mit einer reinen Frauencrew zu betreuen. Auf dem SPOT Festival in Aarhus, Dänemark, treten innerhalb von drei Tagen 300 Acts aus der dänischen Musikszene auf 25 Bühnen auf. Circa 30.000 Menschen besuchten das SPOT. Die Bühne der WILM-Crew, Aben Scene, am Veranstaltungsort Godsbanen hat eine Kapazität für 240 Besucher. An zwei Tagen traten dort 17 Acts auf.

nicht so leicht zu finden

Die Herausforderungen begannen für Women in Live Music direkt mit der Anfrage. Von der Idee begeistert, versuchten die Verantwortlichen, eine Crew zusammenzustellen: „Es war ein bisschen wie ein Puzzle, denn es zeigte sich, dass wir nicht genug Ressourcen hatten, für ein ausschließlich dänisches Team. Daher verbreiteten wir die Anfrage europaweit. Am Ende flogen wir Technikerinnen aus drei verschiedenen Ländern ein und stellten damit eine sehr erfahrene Crew, in der alle sehr engagiert und fokussiert arbeiteten“, erzählt FOH-Managerin Malle Kaas. Die Anforderungen, die es zu erfüllen galt, bestanden nicht nur in rein fachlicher Kompetenz, sondern auch darin, wirklich teamfähig zu sein. Dies war insbesondere wichtig, da die Technikerinnen nicht nur einen guten Job machen sollten, sondern auch zusätzlich die Aufgabe erfüllen mussten, die drei Trainees anzuleiten.

ein Sicheres Lernumfeld

Aufgrund des Selbstverständnisses von Women in Live Music war es klar, dass die Chance genutzt werden muss, Wissen und Erfahrung weiterzugeben, um für Neuanfängerinnen ein sicheres und kollegiales Lernumfeld zu schaffen. Im Vorfeld stellte sich auch bei der Suche nach den Trainees heraus, dass es Schwierigkeiten gab.  Malle Kaas erzählt, dass es viel Zeit kostete, die jungen Frauen ausfindig zu machen: „Ich musste mehr als 70 Festivals, Veranstaltungsorte, Bildungsinstitute etc., anfragen, um Bewerberinnen aus dem ersten oder zweiten Jahr der Ausbildung zu finden. Wir bekamen zwar ein großes Feedback von jungen Frauen, die sagten, sie würden gerne dabei sein, sich aber unsicher über ihre Fähigkeiten waren, so eine Produktion durchzuziehen. Ich hatte den Eindruck, dass sich viele selbst davon abhielten, die Gelegenheit zu ergreifen. Sie fühlten sich an einem Punkt unwohl, an dem Männer keine Bedenken hätten. Ich denke, hier können Frauen definitiv von Männern lernen – und von Beginn der Karriere an, den eigenen Wert höher ansetzen und sich dafür entscheiden, die Komfortzone zu verlassen.“ Die Produktion auf dem Spot Festival war eine solche Gelegenheit. Für alle eine Herausforderung, denn hier würde sich zeigen, ob es möglich ist, die gesteckten Ziele in einer realen Arbeitsumgebung umzusetzen.

Erwartungsdruck

Der Druck der eigenen und fremden Erwartungen war deutlich spürbar. Als sich das gesamte Team zur Besprechung am Tag vor der Produktion traf, waren alle angespannt, am ersten Aufbautag arbeiteten alle ruhig und konzentriert. Trotzdem nahmen sich die erfahrenen Teammitglieder Zeit für die Trainees und bezogen sie in ihre Tätigkeit mit ein. Für die 23-jährige Hannah war das SPOT Festival die erste größere Produktion. Ihr war Stage Managerin Yu Lu als Mentorin zugeteilt. „Yu bot mir eine Menge Unterstützung an, und sie begegnete mir auf Augenhöhe, was mir sehr viel bedeutete. Ich hatte die Möglichkeit, Dinge eigenständig zu tun, und habe auf diese Weise sehr viel gelernt“, begeisterte sich Hannah über diese Art der Zusammenarbeit. An der Lichtkonsole, die MA Lighting für das Training und die Veranstaltung zur Verfügung gestellt hatte, arbeiteten Louise und Heida: „Die Erfahrung mit WILM und meiner Mentorin Heida war großartig. Ich habe wirklich eine Menge über das Programmieren unterschiedlichster Shows gelernt. Ich habe es genossen, and der grandMA3 zu arbeiten, und kann es kaum erwarten, noch mehr praktische Erfahrung an der Konsole zu sammeln“, so Louise. Als sich die Anspannung nach dem ersten Tag löste, folgte für alle ein grandioser Samstag. Und auch die Haus- techniker von Godsbanen schafften es, ihre anfängliche „Scheu“ zu überwinden und stießen nach erfolgreicher gemeinsamer Arbeit mit der Frauen-Crew auf eine gelungene Produktion an.

„Wie cool! Ihr seid ausschließlich Frauen!“

Auch die Reaktion des Publikums war positiv: „Wie cool! Ihr seid ausschließlich Frauen!“ So war das SPOT Festival ein starkes Statement: Es gibt sie, die Frauen in der Branche! Und mit Mut und Engagement schaffen sie ein Arbeitsumfeld, in dem auch „Neue“ kollegial auf Augenhöhe stressfrei lernen können, und in dem der Umgangston auch in Drucksituationen immer respektvoll bleibt. In der WILM-Crew haben alle profitiert – von einer unterstützenden Arbeitskultur in guter Atmosphäre. Ein menschliches Miteinander und wertschätzende Anerkennung individueller Fähigkeiten, sollten selbstverständliche Voraussetzungen für jedes Team sein, das den Anspruch hat, gute Arbeit abzuliefern. Das gilt wohl für alle – unabhängig vom Geschlecht.

Für mehr Informationen zu Women in Live Music…https://womeninlivemusic.eu/

Photos: Caroline Momma / VPLT S

Dieser Artikel ist erschienen im VPLT-Magazin 2I19

 

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