Kulturfrequenzen – Spektrumexperte Prof. Georg Fischer kritisiert Bitkom-Stellungnahme

Aus Anlass eines Berichterstattergespräches im Bundestag zum Thema „Frequenzen für drahtlose Produktionsmittel“ im September 2019 hat der Bitkom eine Stellungnahme veröffentlicht. (https://www.bitkom.org/sites/default/files/2019-09/20190923_stellungnahme_470-694mhz.pdf )
Darin äußert sich der Verband, der Unternehmen der digitalen Wirtschaft vertritt, zu Nutzungsrechten im Frequenzband 470 bis 694 MHz. Bisher wird das Frequenzband vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk und von PMSE-Anwendungen, also etwa Funkmikrofonen, genutzt. Das soll nach bisherigen Versprechungen von EU-Kommission und Bundesregierung auch bis zum Jahr 2030 gesichert sein. Das als Kulturfrequenzen bezeichnete Band hat wichtige positive Eigenschaften für die Nutzung in der Kultur-, Kreativ- und Veranstaltungswirtschaft.
Gerade wegen der guten Ausbreitungseigenschaften der Kulturfrequenzen hat aber auch der Mobilfunk ein Auge auf das Band geworfen. Allerdings hat der Mobilfunk in den letzten 10 Jahren bereits große Bereiche erhalten, zunächst das 800-MHz-Band („Digitale Dividende 1“) und dann das 700-MHz-Band („Digitale Dividende 2“), welches gerade ausgebaut wird. Die PMSE-Anwender mussten alle in das Frequenzband 470 bis 694 MHz ausweichen. Gleichzeitig steigt die Zahl von Funkmikrofonen, In-Ear-Systemen und ähnlichen Geräten beständig an. Ergebnis: Weniger Frequenzband für mehr Geräte. Und nun will der Mobilfunk möglicherweise noch eine „Digitale Dividende 3“ und auch das übrige UHF-Band für sich haben. Ist das notwendig und sinnvoll?

Der Frequenzexperte Professor Dr. Georg Fischer von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) war selbst über ein Jahrzehnt in der Mobilfunkbranche aktiv. Gleichzeitig kennt er über diverse Forschungsprojekte des Bundes wie auch der EU die Bedürfnisse der PMSE-Branche (Anm.d.Red.: Programme Making and Special Events) und deren Nutzer. Fischer, an dessen Lehrstuhl die Grundlagen für mp3 gelegt wurden, war beim Berichterstattergespräch im Bundestag auch dabei. Die Stellungnahme des Bitkom kritisiert er aus verschiedenen Gründen.

Herr Professor Fischer, der Bitkom fordert in seiner Stellungnahme neue Flächenfrequenzen und Flächenspektrum, wohl um Funklöcher im ländlichen Raum zu schließen. Diese Frequenzen würden der Kultur verloren gehen. Ist die Forderung des Bitkom berechtigt?

Das Thema ist komplexer als es der Bitkom darstellt. Zunächst: Die Kulturfrequenzen umfassen inzwischen nur noch den Bereich von 470 bis 694 MHz. Das sind 224 MHz, die der Mobilfunk wohl gerne hätte. Stand heute hat der Mobilfunk aber schon circa 1300 MHz. Die Übernahme der Kulturfrequenzen würde ihm nur 17 Prozent mehr Kapazität bringen. Das sind im Grunde Peanuts für den Mobilfunk. Für die Kreativ- und Kulturwirtschaft wäre es dagegen ein harter Verlust.

Aber die Kultur könnte doch auf Ersatzfrequenzen hoffen!

Die Ersatzfrequenzen werden das Problem nicht lösen. Denn 100 MHz im niedrigen UHF-Band sind nicht gleich 100 MHz in anderen Frequenzbändern. Das niedrige UHF-Frequenzband ist aus technischer Sicht unabdingbar für PMSE. Es bietet Eigenschaften, die andere Bänder nicht haben. Mit Frequenzen aus diesem Band können Hindernisse wie Theaterkulissen problemlos durchdrungen werden. Schauspielern ist es möglich auf der Bühne hinter eine Tür zu gehen oder sich im Backstage-Bereich zu bewegen – das Publikum versteht sie nach wie vor. Dadurch, dass Antennen für PMSE direkt am Körper getragen werden, besteht bei anderen Bändern zudem das Risiko der Ausbildung einer Richtwirkung der Antennen. Das würde den Verlust der Rundstrahleigenschaften bedeuten, die für die Performance der Künstler absolut notwendig ist.

Sie spielen auf das Musical CATS an, bei dem umfangreiche Fahrmanöver bis zu 80 km/h stattfinden?

Genau. Oder Gildo Horn, der beim ESC in der Bühneninstallation klettert. Auch in vielen Theatern klettern Künstler auf Balkone oder Ähnliches. Entscheidend dafür, dass die Richtwirkung nicht eintritt, ist, dass die Wellenlänge des Frequenzbandes größer als der Körperdurchmesser ist. Das ist nur im niedrigen UHF Frequenzband um 470 MHz gegeben, da hier die Wellenlänge circa 70 cm ist. Bei höheren Frequenzen tritt eine Richtwirkung auf. Die Performance der Künstler wäre eingeschränkt. Die andere Lösung, eine Rückkehr zu Kabelmikrofonen, ist bei solchen Choreographien überhaupt keine Option.

Niedrige Frequenzen, also das Band um 470 MHz, bietet auch eine große Reichweite …

Ja, die niedrigen Frequenzen bieten, trotz der geringen Sendeleistung der Funkmikrofone, eine große Reichweite. In anderen Frequenzbändern bräuchten die Geräte mehr Sendeleistung und dementsprechend größere Batterien. Aber wie will man diese unter den Kostümen und Perücken verstecken? Noch tiefer in der Frequenz zu gehen, also unter 470 MHz, ist auch keine Option, da die Frequenzbereiche unterhalb durch Computer, LED-Wände und andere schnell getaktete Elektronik stark gestört sind.

Andererseits mag niemand ein langsames mobiles Internet. Aufgrund des wachsenden Verkehrsaufkommens muss der Mobilfunk doch mehr Kapazität bereitstellen und sein Netz weiter ausbauen. Das wollen wir doch alle!

Richtig. Das soll und muss er tun. Die Mobilfunkunternehmen haben sich auch mehrfach dazu verpflichtet genügend Kapazität und Netzabdeckung zur Vermeidung von Funklöchern und Versorgungsproblemen bereitzustellen. Sie haben zur Lösung dieses Problems aber drei Möglichkeiten:
1. Sie können mehr Spektrum ersteigern, oder
2. sie können Audio/Video-Daten komprimieren wie bei mp3, oder
3. sie nutzen Mehrantennentechniken (MIMO).
Die Kreativ- und Kulturwirtschaft hat nur Möglichkeit 1, also Sicherung von Spektrum. Komprimieren ist hier keine Option, da eine doppelte Komprimierung in Produktion und Distribution nicht möglich ist: Artefakte entstehen, wenn man zwei Kompressionsverfahren hintereinanderschaltet. PMSE, das heißt Funkmikrofone, können daher nicht komprimieren. Mehrantennentechnik ist auch nur bedingt umsetzbar bei PMSE wegen der geringen Abmessungen der Geräte. Dagegen nutzen die PMSE-Empfänger bereits Mehrantennentechniken (Diversity).
Jetzt kommen wir zum wichtigen Punkt: Der Mobilfunk hat alle drei Möglichkeiten. Er sollte sich auf die Möglichkeiten 2 und 3 konzentrieren. Dadurch kann er seine Probleme lösen und zugleich bliebe die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland erhalten. Das wäre ein fairer Ausgleich. Der Mobilfunk könne die Technik der Mehrantennen (MIMO) nutzen. Letztlich ist die MIMO Mehrantennentechnik der große Hebel, um mehr aus dem bisherigen Spektrum herauszuholen.

Ginge das denn so einfach? Ein paar Antennen mehr aufstellen und das Problem ist gelöst?

Es geht nicht sofort. Die MIMO Technologie, in einem größeren Maßstab als das heutige 2×2 Schema in LTE, erfordert eine komplexere Basisstationstechnik, komplexere Antennenarrays und auch komplexere Smartphones beziehungsweise Modems in Laptops.

Mit 3G geht das nicht!

In der Tat lässt man bei 3G (UMTS/W-CDMA) das Potenzial von MIMO gänzlich liegen. 3G sollte abgeschaltet und die dadurch freiwerdenden Bänder mit 4G Technologie genutzt werden. Damit holt man aus diesen Bändern schon einen Kapazitätsgewinn von Faktor 2,4! Es ist eigentlich Spektrumverschwendung noch 3G Netze zu betreiben. 2G (GSM) ist zwar älter, wird aber wegen Roaming, Fallback und Minimalversorgung noch eine längere Zeit benötigt. Alternativ könnte man langsam die GSM-Kapazität reduzieren und auch in GSM-Bändern auf 4G umstellen. Übrigens: In der Schweiz wurde 3G schon abgeschaltet. Das Land ist nicht untergangen.
Nimmt man beides zusammen, Migration der 3G-Bänder zu 4G und weiterer Einsatz von MIMO Techniken, sehe ich Steigerungen der Kapazität von Faktor 3 bis 4. Demgegenüber fallen die oben erwähnten +17% mehr Spektrum nicht ins Gewicht. Manchmal argumentiert der Mobilfunk, dass noch viele 3G Handys (ohne 4G) im Markt sind. In diesem Fall muss man halt den Wechsel subventionieren. Auch analoge Fernsehgeräte musste man ja verschrotten oder eine Set-Top-Box als Zusatz kaufen.

Ist ein Gerätewechsel den Kunden zuzumuten?

Man muss hier bedenken, dass die mittlere Nutzungsdauer von Smartphones ohnehin nur im Bereich von drei Jahren liegt. Die Alternative wäre eine erhebliche Schwächung der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland, das ist unser zweitwichtigster Wirtschaftszweig. Hier arbeiten Millionen Menschen, und viele Ehrenamtliche kommen hinzu. Jeder, der ein Funkmikrofon benutzt, ist betroffen – von der Sängerin bei „Starlight Express“, über Musikfestivals, Kulturfeiern, den Sportreportern am Spielfeldrand bis hin zu Kindergärten, die kleine Aufführungen für die Eltern machen.

Könnte der Mobilfunk nicht einfach auch mehr Basisstationen aufbauen?

Ja, er könnte weitere Basisstationen aufstellen um die Kapazitätsanfragen zu befriedigen und Funklöcher zu stopfen. Das wäre eine Netzverdichtung. Dann werden die Zelleradien kleiner und niedrigere Frequenzen, die größere Zellradien erlauben, würden nicht benötigt. Ich stimme dem Mobilfunk zu, dass die niedrigen Frequenzen auch für sie interessant sind, da sie wegen der größeren Zellradien eine gute Abdeckung auch mit wenigen Basisstationen im ländlichen Raum erlauben. Die Mobilfunkunternehmen sind Aktiengesellschaften. Der ROI (Anm.d.Red.: Return of Invest) ist bei Basisstationen auf dem Land zugegebenen Maßen schlecht. Mit dem Aufbau weiterer Basisstationen und einer Netzverdichtung bräuchte der Mobilfunk keine weiteren niedrigen Frequenzen.

Manche Menschen haben Angst vor Strahlung, wenn es zu viele Basisstationen gibt …

Diese Ängste sind unbegründet, wie alle Studien zeigen. Die „Stiftung Warentest“ hat in ihrem Heft vom September 2019 geschrieben, dass eine hohe Zahl an Sendemasten sogar helfen kann, die Gesamtaufnahme von Strahlung zu senken. Zudem: Die Strahlung ist ohnehin vom eigenen Gerät dominiert. Die Sendemasten spielen wegen des schnellen Abklingens der Wellen mit dem Abstand nur eine untergeordnete Rolle. Außerdem führt die Mehrantennentechnik, je höher das Schema ist, zu einer immer stärkeren Absenkung der abgestrahlten Leistung, da nur der Ort des Empfängers (Spot) ausgeleuchtet wird.

Was ist Ihrer Meinung nach die beste Lösung für die Nutzer von Funkmikrofonen, also PMSE?

Die einzige Lösung aus dem ganzen Schlammassel herauszukommen ist zusammenhängendes Primärspektrum für PMSE. Bisher operieren PMSE in Lücken zwischen Rundfunksendern. Die PMSE-Gerätehersteller könnten auch weitere Innovationen in den Markt bringen, so ihnen denn auf lange Sicht ein größeres zusammenhängendes Spektrum zugesichert wird. Hier tut sich einiges. In dem Zusammenhang möchte ich auf die WMAS Systeme (Wideband Multichannel Audio Systeme) verweisen, die sich gerade in der Entwicklung befinden.

Herr Professor Fischer, vielen Dank für das Gespräch!

Ich bedanke mich ebenfalls.

(Das Gespräch fand am 1. Oktober 2019 mit Dr. Jochen Zenthöfer von der Initiative „SOS – Save Our Spectrum“ statt.)

Bild: PMSE Experten im Bundestag, Prof. Georg Fischer ist die 3. Person von rechts.

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